Wie gelingt nachhaltige Führung gerade in Krisenzeiten? Diese und anderen Fragen gingen zwei starke Frauen bei einem Treffen im Spenerhaus nach. Die eine, Tanja Eckelmann, Leiterin des Spenerhauses, dem Wirtschaftsbetrieb des Evangelischen Regionalverbandes in Frankfurt und Offenbach – die andere – Brigitte Marx-Lang, Gründerin und Inhaberin der Gesellschaft für Perspektivenentwicklung als häufiger Gast im Spenerhaus. Lesen Sie einen kleinen Auszug. 

Tanja Eckelmann: Frau Marx-Lang, ich freue mich sehr, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Die letzten von Ihnen geplanten Veranstaltungen „Leadership-Developement“ im Winter 2020/21 sind der Pandemie zum Opfer gefallen. Wie sind Sie als Coach und Beraterin mit den geänderten Rahmenbedingungen zu Recht gekommen? Das klassische Coaching lebt ja traditionell von Face-to-Face-Begegnungen, von Mimik, Gestik und Körpersprache. 

Brigitte Marx-Lang: Danke, die Freude ist ganz meinerseits. Insgesamt kommen wir als Beratungsunternehmen erstaunlich gut durch die Pandemie. Wir haben uns schnell auf das neue Geschehen einstellen können, haben unser Digitales Coaching weiter professionalisiert – auch wissenschaftlich durch die Evangelische Hochschule Darmstadt evaluieren lassen. Die Ergebnisse stimmen uns sehr positiv. Insgesamt ist der Unterstützungsbedarf in einer Krisensituation – wie wir sie aktuell erleben – sehr groß. Sowohl für Unternehmen mit ihren Führungskräften als auch für die die Teams und Mitarbeitenden. 

Tanja Eckelmann: Auch wir haben eine Transformation erlebt. Aus analogen Veranstaltungen wurden digitale bzw. hybride Veranstaltungen. Vieles ist uns hier sehr gut gelungen und wir haben positive Erfahrungen machen können, haben an Kompetenzen hinzugewonnen, große Flexibilität gezeigt. Hier gilt mein Dank unserem ganzen Team. Das darf aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir als Tagungshotel in eine bedrohliche Situation geraten sind. Phasen der vollständigen Schließung, Kurzarbeit, unsichere Perspektiven – bis heute. Unser kirchlicher Träger – der evangelische Regionalverband Frankfurt und Offenbach – hat hier bisher sehr unterstützt. 

Brigitte Marx-Lang: Gott sei Dank! 

„Überlasse Gott die Führung Deines Lebens und vertraue auf ihn?“ 

Tanja Eckelmann:„Überlasse Gott die Führung deines Lebens und vertraue auf ihn, er wird es richtig machen?“(Psalm 37,5) 

Brigitte Marx-Lang: Gute Frage. Gott verbunden mit einer dahinter stehenden Religion ist für mich zunächst ein wunderbarer Wertekanon für ein gesundes, stärkendes Miteinander. Religion als guter Kompass, der in die richtige Richtung weist, die Rahmenbedingungen steckt. Auch in Unternehmen. Nicht nur als Lehrbeauftragte der Evangelischen Hochschule Darmstadt liegen mir die christlichen Werte in der Führung wie Glaube, Hoffnung und Liebe besonders am Herzen. Sie sind gesunde Grundlage für ein glückliches, sinnerfülltes und auch erfolgreiches Wirtschaften, daher nicht nur von einem rein christlichen Standpunkt zu betrachten. Aber auch fast vergessen Primärwerte aus der Antike wie Weisheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit verdienen der besonderen Betrachtung. 

Führen mit Liebe, Hoffnung und Glaube 

Tanja Eckelmann: Führung mit Liebe, Hoffnung und Glaube – wie sieht das in der Praxis aus? 

Brigitte Marx-Lang: Kurz gefasst: Schützen, stützen, fördern und fordern. Zu jeder liebevollen Beziehung gehört, den anderen in seiner Entfaltung zu unterstützen, statt ihn klein zuhalten. Gemeinsam stärker werden, gemeinsam Perspektiven entwickeln. Mitarbeitende beim Wachsen und Entfalten zu helfen. Wenn Führungskräfte ihre Teammitglieder dazu anleiten, über sich hinauszuwachsen, um besser zu werden als sie selbst, entsteht eine wunderbare auf die Zukunft ausgerichtete Arbeitsbeziehung, die bestenfalls alle glücklich macht. Unsere Liebesfähigkeit basiert auf Empathie, auf Einfühlungsvermögen und Hingabe. Liebevolle Beziehungen werden nur aufrechterhalten, wenn wir eine gemeinsame Zukunft sehen. Auseinandersetzungen, Kritik und Beschwerden sind ein Indiz, dass wir an der Beziehung festhalten möchten. Wird an der Beziehung nicht mehr gearbeitet, die Kommunikation weitestgehend ruht, die Perspektive für eine gemeinsame Zukunft fehlt, tja, dann kommt es zur Trennung. Der Verlust von wertvollen Mitarbeitenden wird oft zu spät erkannt. Aristoteles wusste bereits: „Den Verstand zu schulen, ohne das Herz zu schulen, ist keine Schulung.“ 

Tanja Eckelmann: Und der Glaube und die Hoffnung? 

Brigitte Marx-Lang: Der Glaube ist zunächst ein Grundvertrauen in Werte, ein wesentlicher Baustein guter Führung. Führungskräfte benötigen unbedingt den Glauben an ihre Mitarbeitenden, den Glauben an das Gute im Menschen und natürlich den Glauben an sich selbst. Eine Führungskraft, die nicht an die Stärken und Fähigkeiten der Mitarbeitenden glaubt, wird ihnen nichts zutrauen und sie nicht fördern. Eine Führungskraft, die hingegen nicht an sich selbst glaubt, kann ihre Führungsaufgaben nicht authentisch wahrnehmen. Aus dem Glauben entstehen Glaubenssätze, die Einstellungen, Leitideen und Visionen spiegeln. Sie motivieren, unterstützen und geben Orientierung – sofern diese positiv und in die Zukunft gerichtet sind. 
Hoffnung per Definition verstehen wir als umfassende emotionale und unter Umständen handlungsleitende Ausrichtung des Menschen auf die Zukunft. Hoffend verhalten wir uns optimistisch zur Zeitlichkeit unserer Existenz. Hoffnung als Vertrauen darauf, die Herausforderungen unserer Zeit auch bewältigen zu können. Aber Vorsicht, die Hoffnung ist kein Ort zum Ausruhen, kein Ruhekissen für das Management. Die eigentliche Hoffnung befeuert die überdurchschnittliche Führungskraft und macht sie damit handlungsfähig. Hoffnung und Perspektiven sind also ganz zentrale Herausforderungen unserer Zeit. 

Zusammenhänge in Natur, Leben und Gesellschaft 

Weisheit bezeichnet heute laut Definition vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren. Arthur Schopenhauer hat es einst so formuliert: „Ein wichtiger Punkt der Weisheit besteht in dem richtigen Verhältnis, in welchem wir unsere Aufmerksamkeit teils der Gegenwart, teils der Zukunft widmen, damit nicht die eine uns die andere verderbe.“ Weisheit ist also gerade jetzt in diesen besonderen Pandemie-Zeiten ein hochaktueller Wert bei der Führung von Unternehmen. An dieser und anderen Weitsichten mangelt es leider noch zu oft. Ziele werden meist für einen kurz- oder mittelfristigen Zeitraum vereinbart. An einer  langfristigen, klugen Vision für Unternehmen fehlt es oft. Weisheit als Führungswert sollten wir daher heute als ganz zentrale Voraussetzung für Nachhaltigkeit verstehen: ökologisch, ökonomisch und sozial. 

Bleiben wir tapfer, denn Mut tut bekanntlich gut 

Übersetzt in unsere heutige Welt, beschreibt Tapferkeit die Fähigkeit von Führungskräften in einer schwierigen, mit Nachteilen verbundenen Situation trotz Rückschlägen durchzuhalten. Sie setzt Leidensfähigkeit voraus und ist meist mit der Überzeugung verbunden, für übergeordnete Werte zu kämpfen. Tapferkeit erfordert also Stärke. Und Mut. Mut zu manchmal unbequemen Entscheidungen, zu unbequemen Wahrheiten. Und ausgeprägte Willenskraft um gegen Widerstände zu kämpfen, für einen besseren Weg zu streiten. Die Bereitschaft, innovativ und nachhaltig in Zukunft und Visionen zu investieren. Tapfere Führungskräfte setzen dabei auf ein stabiles Vertrauensverhältnis und den gemeinsamen Wertekanon. Bleiben wir also tapfer, denn Mut tut bekanntlich gut. 

 

Das Gespräch führten Brigitte Marx-Lang und Tanja Eckelmann im November 2021 im Rahmen der Tagungsplanung der Gesellschaft für Perspektivenentwicklung im Spenerhaus.